Ein Essay - "Naturgewalten - Kräfte der Natur"

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Ein Essay

Wissenswertes
Ein Spaziergang auf der farbenprächtigen Bühne des Lebens

Joachim Feldmeier gelingt die Synthese von Kunst, Natur und Technik

"Die größten Ereignisse", hat Nietzsche einmal gesagt, "sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden." Wenn Joachim Feldmeier seinen großen, 56-teiligen Holzschnitt "Naturgewalten - Kräfte der Natur" nennt, dann gibt er diesen Titel nicht donnernden Wasserfällen,  tobenden Stürmen oder feuerspeienden Vulkanen, sondern einem stillen Waldstück irgendwo im Schwäbischen.
Ein Künstler lehrt uns das Sehen. Öffnet uns die Augen für die gewaltige Kraft des scheinbar Unspektakulären, Schlichten, Banalen. Führt uns auf die grandiose Bühne des Lebens und hebt den Vorhang für ein Stück, das sich täglich vor uns abspielt, ohne dass wir dessen gewahr werden.  Feldmeier weckt Bewusstheit für das Leben- und für dessen Zerbrechlichkeit.

Die Mittel, mit deren Hilfe ihm das gelingt,  sind allerdings durchaus spektakulär. Der Kunsterzieher, der sich seit 20 Jahren ausschließlich der Technik des Holzschnitts verschrieben,  gängige Wege dabei aber längst verlassen hat, erfüllt sich mit den "Naturgewalten - Kräfte der Natur" einen Traum, der nur mit Hilfe ausgeklügeltster Technik und ausgefeiltester Logistik realisierbar war:  die Erstellung eines Holzschnitts von 31 Metern Länge und fast drei Metern Höhe, bestehend aus 56 Farbholzschnitten im Format 138 mal 110  cm. Feldmeier hat seine Bilder in acht Farbstufen auf Leinwand gedruckt und für die Präsentation ein spezielles Hängesystem aus Aluprofilen entwickelt. Durch die Technik des Abbauschnitts (Verlorene Platte) ist ein Nachdruck nicht möglich, es existiert also von dem gigantischen Werk nur ein einziges Exemplar und ein Probedruck.

Um sich die Problematik des Projekts klar zu machen, muss man wissen, dass übliche Druckpressen eine maximale Walzenbreite von 60 Zentimetern aufweisen.  Feldmeier hat in seiner Werkstatt eine Walzenpresse vom Format zwei mal drei Meter. Zum Schneiden seiner hochkomplexen Platten entwickelte er mit Hilfe befreundeter, hochmotivierter Techniker, die sein Anliegen als Herausforderung empfanden, eine computergesteuerte Fräsmaschine, die er selbst programmiert hat und die an den "Naturgewalten - Kräfte der  Natur" zwei Jahre lang praktisch Tag und Nacht arbeitete. Dieser  High-Tech-Einsatz - permanent kontrolliert, modifiziert und ergänzt vom Auge und den Händen des Künstlers - ermöglicht den von Feldmeier so  genannten "Progressiven Holzschnitt"; das heißt, er erfüllt ihm einen  Wunsch, den er vor Jahren so formulierte: "Ich möchte mit dem Holzschnitt malen, ja eigentlich aquarellieren."

Fasziniert war Feldmeier seit je vom großen Format. Ausgangsidee für die "Naturgewalten  - Kräfte der Natur" war der Gedanke, einmal "etwas zu schaffen, was nicht in einem Wohnzimmer Platz hat." Das nicht konsumierbare Kunstwerk also. Eines, das Raum um sich braucht, das allein durch seine Größe gebieterisch Aufmerksamkeit fordert.

In der Tat fordert es den Betrachter, aber es tut das auf unaufdringliche Weise. Sein suggestiver Sog wirkt nicht beunruhigend, sondern gewissermaßen freundlich. Er zieht uns in eine lichtflirrende Waldlandschaft unbestimmter Tages- und Jahreszeit hinein, die in sanft-irisierendem, transparenten Farbenspiel schimmert. Wir wandern zwischen lichten, besonnten Stämmen und zitterndem Laub, ahnen das Kommen und Gehen des Windes und das Flügelschlagen eines Vogels, riechen harzig-modrige, kühle Erde. Mal richtet sich der Blick auf borkige Rinde und knorrige alte Wurzeln, mal schweift er zu hellen Horizonten, die unversehens mit Wasser- oder Schneeflächen zu verschmelzen oder sich in sie zu verwandeln scheinen. Perspektiven verschieben, öffnen oder schließen sich, je nach Blickwinkel. Ein irritierender Zauber, ein fast impressionistisches Licht führen in Tiefen, in denen sich das Auge verliert.

Diese Natur weist, bei aller Schönheit, Brüche, Wunden, Zersplitterungen auf,  aber die Scherben sind vom Künstler hoffnungs- und liebevoll wieder zusammengefügt zu einer neuen, höheren Realität. Jedes Teilstück - und hier erweist sich kompositorische Meisterschaft - entfaltet bei näherer Betrachtung der unendlich vielen Details seine eigene Qualität, sei sie nun abstrakt oder konkret, romantisch-stimmungsvoll oder zerrissen-chaotisch.

Feldmeiers Sicht der Natur ist geprägt von Respekt und Nachdenklichkeit. Nicht zufällig hat er die Bäume und den Wald als Sujet gewählt, ist doch der Baum eines der großen Sinnbilder des Lebens, zu allen Zeit verehrt und von Menschen aufgesucht, die in ihm Trost und Freiheit, Zuflucht und Schutz fanden. Und die Intensität von Leben ist das, worum es Feldmeier geht: der Kreislauf des Werdens und Vergehens, das Geheimnis des letztlich Unbegreiflichen. Im Wald,  bei den Bäumen, findet er sich (so einige der Titel, die die Teilbilder tragen) "In den Fängen des Glücks", im "Garten der Sinne", im "Paradies für Wichte". Da tauchen "Buntspechte", "Schlangen" und "Glückliche Monster" auf. "Wut, lass nach" heißt ein Bild, "Schreie der Rinde" oder "Wenn Menschen wüten" zwei andere. Und immer wieder das Leben:  "Protokoll des Lebens", "Zum Leben befreit", "Spuren des Lebens".

Wie schrieb doch Ernst Jünger in seinem Essay "Der Baum": "Der Mensch hat immer Werden und Vergehen am Gleichnis des Baumes zu begreifen versucht -  nicht nur sein eigenes flüchtiges Leben, sondern auch das der Fürsten- und Göttergeschlechter, der Hierarchien und Dynastien, der Völker und Großreiche. Das alles wird durch die ewig junge Erde hervorgetrieben und fällt ihr wieder anheim. Das ist das große Muster, nach dem das "Stirb und Werde" geschaut wird ...". Die Kulturen "keimen, blühen, fruchten,  altern und sterben unerklärlich als tausendjährige Stämme, und die Erde fordert sich wieder ein."

Eva-Maria Frieder, Freie Journalistin, August 2001


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